Am 2. Januar ist die Künstlerin Lilly Keller im Alter von 88 Jahren gestorben. Ich hatte das ausserordentliche Glück, ein literarisches Porträt über diese unbändig lebendige Frau lektorieren zu dürfen – ein Auftrag, der für mich ein Höhepunkt in meiner beruflichen Laufbahn war und nachhaltige Spuren hinterlassen hat: Die Kraft ihrer Persönlichkeit, die Konsequenz ihres künstlerischen Schaffens, ihre Weisheit sind bereichernd und bleiben es dank des Buchs auch für die Nachwelt.

Hier ein Ausschnitt aus Fredi Lerch: Lilly Keller Künstlerin, Vexer Verlag 2015, der mich besonders beeindruckt:

Es sei ein grosses Glück, dass es Menschen gebe, die nicht «verschüttet» seien.
Was denn das sei, ein «verschütteter Mensch»? – Lilly Keller antwortet: «Wenn du mit dem Auto durch die Wüste fährst, machst du folgende Beobachtung: Der Wind trägt feinen Sand mit sich, den beachtest du gar nicht. Aber dauernd wird auf der Piste ein bisschen Sand abgelagert, und mit der Zeit merkst du, dass die Ränder der Piste nicht mehr klar erkennbar sind. Die Piste wird langsam zugedeckt, und gehen Jahrtausende darüber, dann findest du mächtige Bauten unter fünf Metern Sand.» Das meine sie mit «verschüttet». Man gehe seinen Weg und beachte gar nicht, dass er durch die Umstände dauernd ein bisschen verunklart werde. Mit der Zeit falle einem vielleicht auf, dass die Konturen der eigenen Meinungen und Gefühle nicht mehr so klar seien wie auch schon. «Aber für diese Verwischungen hast du keine Zeit, weil du ja dauernd Geld verdienen musst, damit du mit dem, was du weisst, deine Existenz bestreiten kannst. Dafür musst du dein Wissen mit jenem Wissen zudecken, das Geld bringt. Und ganz langsam beginnst du zu vergessen, was du eigentlich gewusst und gewollt hast. Du wirst ein anderer Mensch – ein Mensch, der so funktioniert, dass er gebraucht werden kann. Und dann bist du ‹verschüttet›.»









 
 
 
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